In vergangenen Zeiten wühlen: Der Diary Slam

17. Juli 2017  
Literatur  

Monat für Monat pilgern Zuhörer und Zuhörerinnen jeden letzten Mittwoch im Monat nach St. Pauli in den Grünen Jäger, um andere Menschen aus ihren Tagebüchern lesen zu hören. Was ist die Faszination, an den Geschichten aus den langen, aufreibenden Jahren der Jugend? Und warum ist dieses Format so erfolgreich?

Die erste Tagebuchlesebühne Deutschlands

Im Jahr 2011 wurde Deutschlands erste regelmäßige Tagebuchlesebühne, der Diary Slam, ins Leben gerufen. Nadine Wedel aus Barmbek und Ella Carina Werner aus Wilhelmsburg kamen beide von verschiedenen Seiten auf die Idee zum Diary Slam. Ella Carina Werner hatte schon vor ein paar Jahren mit Freunden eine Wohnzimmerlesung unter dem Motto „Was ist das beknackteste was man vorlesen kann“ abgehalten. Dabei kam sie schnell auf die eigenen Tagebücher. Die Barmbekerin Nadine Wedel hingegen hatte im Netz von den sogenannten Cringe Nights gelesen, bei denen in Pubs aus den Tagebüchern vorgelesen wird. Zusammen gründeten die beiden dann den Diary Slam, schnell wurde eine Bühne gefunden und Moderator Sven Onken ist auch seit Anfang an dabei.

© Nadine Wedel

Die Lesersuche hingegen benötigt bis heute viel Überzeugungsarbeit, so ist der halbe Freundeskreis bereits aufgetreten oder wird immer noch bearbeitet, die Tagebücher rauszukramen. Wie gut, dass die beiden Veranstalterinnen jeweils auch zahlreiche Bücher und Kladden vollgeschrieben haben. Unendlich viel Material – als die Eltern zum Inbegriff der Spießigkeit wurden und jede Sportstunde zur Folter. Als man weit hinaus in die Welt wollte, aber die Reise gleich hinter der nächsten Tankstelle endete. Aber auch, wenn man sich wieder mal vor der ganzen Schulklasse blamiert hatte oder morgens im Bus der Schwarm einem keinen Blick zu geworfen hat.

Flashback in die Jugend

Als Zuhörer wird man an diesen wunderbaren Abenden, in eine längst vergessene Jugendwelt katapultiert, man verspürt dieses angenehme Kribbeln, wenn man in fremde Gefühlswelten eintaucht, die einem doch allzu oft vertraut vorkommen. Es darf darüber herzlich gelacht werden, denn alle LeserInnen sind dazu aufgerufen nur Beiträge aus vergangenen Jahrzehnten vorzulesen, mit denen sie emotional abgeschlossen haben. Und was gibt es herrlicheres als darüber zu schmunzeln, als im Jahr 1995 morgens der rote Pickel auf der Nase die größte Katastrophe der Welt war, weil man doch mittags im Jugendhaus endlich seinen Schwarm wiedersah.

Diary Slam

© Diary Slam

Leser wie Gäste sind immer herzlich willkommen an jedem letzten Mittwoch im Monat.
Einlass 19.30 Uhr, Beginn 20.30 Uhr; 5,- Euro Eintritt an der Abendkasse. Hier geht es zur Webseite. Ihr findet uns auch auf Facebook, YouTube und Instagram.