Von Kirsten Mountakis-Michalski/ Kreta in Griechenland
“Und? Wie schlagt ihr euch so durch die Corona-Zeit?” ist vermutlich eine der am häufigsten gestellten Fragen in 2020. Meine erste Antwort ist normalerweise: “Ich bin Mutter in Elternzeit, für mich ist alles wie bisher. Nur, dass alle Menschen um mich herum jetzt auch zu Hause arbeiten, nicht ausgehen oder verreisen können.” Das ist natürlich ein Scherz, aber wie so oft, steckt darin auch viel Wahrheit.
Die lange Version meiner Antwort ist: Wir hatten Glück. Mein Mann arbeitet in gleicher Stundenanzahl wie vor Corona, nur eben von zu Hause. Ich bin in Elternzeit, angestellt bei einem Unternehmen, das es zum jetzigen Stand gut durch die Krise schafft und ich bekomme Elterngeld. Unsere größte Sorge ist die Gesundheit unserer Liebsten in Hamburg und auf Kreta, wo ein Teil unserer Familie lebt. Auch bei denen ging das Leben mehr oder weniger unverändert weiter.
Seit Anfang Juli erlaubt Griechenland wieder Touristen im Land. Während mein Mann als griechischer Staatsbürger natürlich jederzeit hätte einreisen dürfen, haben wir sehnsüchtig auf diesen Moment gewartet, um die geplante gemeinsame Elternzeit im Sommer in unserem zweiten Zuhause zu verbringen. Und tatsächlich: Seit Mitte Juli sind wir nun zu Dritt in Chania auf Kreta bei Großmutter, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen – und natürlich mit viel Sonne und Meer. Wie gesagt, wir hatten Glück.
Dass Corona viele Menschen – weltweit – hart getroffen hat, steht außer Frage. In unserem direkten Umfeld in Hamburg ging es glücklicherweise den meisten wie uns. Die Zahlen zu Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit kennen wir vor allem aus den Nachrichten. Hier auf Kreta sieht das schon anders aus. Die Restaurants von Freunden sind leer, füllen sich nur langsam und hauptsächlich mit Einheimischen. Viele Hotels werden diesen Sommer gar nicht öffnen. Was das für das ohnehin schon krisengeschüttelte Land und seine Einwohner bedeutet, kann ich mir kaum ausmalen, bekam aber einen traurigen Vorab-Einblick, von dem ich hier erzählen will:
Nach unserer Ankunft hat es ein paar Tage gebraucht, unser Leben hier zu organisieren. Beim Aufräumen des Zimmers für unseren Sohn habe ich vieles aussortiert, das von unserer letzten Reise geblieben war und wofür er heute zu groß ist: Windeln, Kleidung, Spielzeug. Wie in Hamburg auch, habe ich die meisten Dinge im Facebook Marktplatz zum kostenlosen Abholen eingestellt. Die Anzahl der Rückmeldungen hat mich schier überwältigt. Junge Schwangere wollten zu Fuß vorbeikommen (bei 32 Grad), Familienväter waren bereit eine 30-minütige Anfahrt in Kauf zu nehmen – für zwei geöffnete Packungen Windeln. Ich bin irgendwann nicht mehr hinterhergekommen, die vielen Nachrichten zu lesen, geschweige denn allen etwas anzubieten.
Mein Mann, der teilweise für mich übersetzen musste, ergriff irgendwann die Initiative: “Das ist doch Quatsch, dass du versuchst hier alles aufzuteilen. Ich gehe Montag los, kaufe ein paar Packungen Windeln und wir geben die weiter.” Dieser Satz war es, der mich auf die Idee brachte einen kleinen privaten Spendenaufruf zu starten. Was wäre, wenn die, die wie wir mehr Glück hatten, nur 5 Euro zu unserem Einkauf dazu geben würden? Könnten wir so vielleicht 50 oder sogar 100 Euro sammeln? Das würde schon so viel helfen. Und hey, fragen kostet doch nichts, oder?
Ich schrieb also einen kurzen Post, um unsere Situation zu erklären und verwies auf einen Link zu einem Sammeltopf. Meinen Beitrag teilte ich privat auf Instagram und Facebook, sowie in einer Gruppe Hamburger Mütter. Und ich sollte wieder überwältigt werden – diesmal aber positiv. In nur 3 Tagen haben sich über 30 Personen auf unseren Aufruf gemeldet und insgesamt über 455 Euro gespendet. Freunde von überall auf der Welt und völlig Fremde beteiligten sich an der Aktion und so konnten wir mit Hilfe unserer Helfer schließlich für 500 Euro den Windel- und Waschmittel-Bestand des Supermarktes aufkaufen und Rest des Betrags haben wir in Einkaufsgutscheine investiert. Was zusammenkam, haben wir zum einen an einige Familien direkt und den Großteil an eine Organisation von Freiwilligen übergeben, die wiederum dafür sorgen, dass alles dort ankommt, wo es benötigt wird.
“Wieso haben sich so viele Menschen beteiligt an etwas, das ja nicht grade vor deren Haustür passiert?” habe ich mich gewundert. Natürlich kenne ich die persönlichen Hintergründe aller Beteiligten für ihre Entscheidung nicht. Aber ich habe für mich selber die Frage so beantwortet: Corona hat viele Menschen, überall auf der Welt, an den Rand ihrer Existenz gebracht. Ich selber habe mich oft gefragt, was ich tun kann, um die Situation anderer zu erleichtern und konnte oft den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, da es gefühlt einfach an allen Ecken und Enden gleichzeitig brennt. Jede Gelegenheit, die sich ergab eine bereits bestehende Aktion von Freunden und Bekannten zu unterstützen, habe ich genutzt. Einfach, weil es einfach war. Genauso einfach wie das kostenlose Weggeben von Dingen, die man sonst vielleicht für kleines Geld verkauft hätte. Oder der To-Go-Besuch im Café oder Restaurant um die Ecke.
Zweifellos hat es vielerorts Menschen noch viel härter getroffen auf Kreta. Wiederum gibt es Länder, in denen das soziale Netz nicht so ausgeprägt ist wie das in Deutschland. Was aber meiner Meinung nach die Schicksale eint, ist die Tatsache, dass Familien und Kinder ganz besonders mit den Folgen zu kämpfen haben. Als junge Mutter habe ich gelernt, dass es kaum ein Gefühl gibt, das buchstäblich grenzenloser ist, als der Wunsch das Beste für das eigene Kind geben zu wollen und die Verzweiflung, wenn dieses nicht möglich ist. Und ich hoffe, dass dieses Verständnis füreinander noch viel, viel mehr Menschen animiert nicht nur Gelegenheiten zu nutzen, sondern auch selber zu schaffen, damit wir alle gemeinsam durch diese Krise kommen.