Schach für den Stadtteil
Herzlich willkommen zur vierten Schwarz-Weiß-Bunt-Ausgabe! Mein Name ist Jörn Bilicki und ich berichte an dieser Stelle regelmäßig über Aktivitäten und Ereignisse rund um das königliche Spiel aus und für den Stadtteil. In dieser Ausgabe geht es schlicht um die Frage, ob Schach ein Sport ist. Passend dazu gibt es eine Denksportaufgabe.
Der österreichische Liedermacher Rainhard Fendrich besang 1983 in einem bissigen Lied die “Schönheiten” des Sports aus der bequemen Perspektive eines sensationslüsternen Zuschauers [1]. In seinem Lied fokussierte er sich dabei mehr auf die spektakulären und dramatischen Szenen im Sport sowie auf deren Wirkung auf den Zuschauer. Weniger auf das, was einen Sport im Kern eigentlich ausmacht.
Sport ist ein Teil unserer Kultur (die Beantwortung der Frage, ob Sport selber Kultur ist, sei den Soziologen überlassen [2]). Er ist auf unseren Straßen, in den Vereinen und in den Medien allgegenwärtig. In unserer Wahrnehmung ist mit der Ausübung von Sport eine körperlich Aktivität verbunden, die einzeln oder in Gruppen gerne im Wettstreit miteinander ausgeführt wird [3]. Grundsätzlich fördert sportliche Betätigung an sich die körperliche Gesundheit und das Ausüben von Sport in der Gruppe fördert die soziale Kompetenz. So betrachtet fällt es einem sicher leicht, eine ganze Reihe von Sportarten aufzuzählen, die in diesen Kategorien genügen. Bei den meisten Aufzählungen wird Schach allerdings fehlen.
Warum scheint Schach nicht in das obige Muster zu passen? Gut: In der öffentlichen Wahrnehmung sitzen die Spieler ja nur rum, scheinen mit sich selber beschäftigt zu sein und bewegen sich während der Partie eher selten. Die eigentliche Kraftanstrengung besteht offenbar darin, manchmal den eigenen Kopf gedankenversunken in den Händen zu stützen (immerhin sind dabei ca. 6 kg zu tragen) oder die Schachfiguren übers Brett zu schieben, bestenfalls zu heben (bei einem Figurengewicht von 30 – 50 Gramm kommt am Ende einer längeren Partie auch so manches Kilogramm bewegter Figurenmasse zusammen). So gesehen verliert Schach den Vergleich mit “echtem” Sport deutlich. Ist Schach also kein Sport?
Nun, beim Schach stehen natürlich die geistigen Fähigkeiten der Spieler im Mittelpunkt. Diese lassen sich trainieren und durch begleitende Maßnahmen fördern. Die Verbesserung der Merk- und Planungsfähigkeit, die Steigerung der Kreativität, die verbesserte Selbstwahrnehmung und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel werden durch Schach gefördert und sind nicht selten auch auf andere Lebenssituationen anwendbar [4]. Neben dem Training am Brett helfen ein moderates Ausdauertraining und eine ausgewogene Ernährung, geistig fitter und damit im Schach besser zu werden [5]. Für Schachgroßmeister wie z. B. Daniil Dubov und den amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen ist körperliches Fitnesstraining ein wichtiger Faktor für ihre schachliche Leistungsfähigkeit
Denn körperliche Fitness ist auch während einer Schachpartie von Vorteil. Die Spieler sind unter Stress, der Puls steigt und die Muskulatur ist angespannt. Wissenschaftlich konnte bestätigt werden, dass ein erwachsener Mann in einer Marathonpartie um die 500 kcal verlieren kann (hier zum selber ausrechnen [6]).
Hinzu kommt das Schachspielen im Team: Auch wenn man am Brett ein Einzelkämpfer bleibt, so entsteht während eines Wettkampfes schon ein gewisses Gemeinschaftsgefühl. Schließlich ist die Einzelleistung Teil des gesamten Teamergebnisses. Ein Zwischenstand kann sich teamtaktisch auf die Gestaltung der noch auszuspielenden Einzelpartien auswirken. Mannschaftswettkämpfe im Schach werden teilweise gemeinsam vorbereitet und danach in Form von Partieanalysen gemeinsam nachbereitet. Persönlichkeitsentwicklung inklusive. In Ansätzen ähnelt Schach im Team dadurch anderen Teamsportarten.
Um ein guter Schachspieler zu werden, sind also geistiges und körperliches Training notwendig, welches in gewissem Maße mit anderen Sportarten vergleichbar ist und sich auf hohem Leistungsniveau hinsichtlich Aufwand und Anstrengung nicht hinter klassischen Sportarten verstecken muss.
Somit kann man Schach als Sport bezeichnen. Auch wenn dies mancherorts sehr kontrovers diskutiert wird, genießt Schach seit 1977 die Anerkennung als Sport durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) [7].
Stichwort: Doping. Wenn es im Leistungssport um Titel und viel Geld geht, dann sind Betrugsversuche durch leistungssteigernde Mittel leider eine allgegenwärtige Bedrohung für die Fairness im Sport. Es ist schon länger bekannt, dass unter dem Einfluss von Stimulanzien die Spielstärke eines Schachspielers steigt [8]. Der Deutsche Schachbund verfolgt hierzu vordergründig zwar eine strikte Agenda [9]. Die Umsetzung in Form von Dopingtests ist allerdings noch ausbaufähig. So gibt es beispielsweise keine Kontrollen in der Schach-Bundesliga, geschweige denn in unteren Ligen. Und dann gibt es ja noch das sogenannte E-Doping, bei dem auf unterschiedlichste Art und Weise mit elektronischen Hilfsmitteln versucht wird, sich einen Vorteil gegenüber seinen Gegenspielern zu verschaffen [10]. Auf Top-Niveau sind die Maßnahmen strikt und erinnern an die Zugangskontrollen am Flughafen. In unteren Ligen beschränkt sich das Anti-E-Doping auf Hinweise des Veranstalters und Appelle an das Fairplay der Teilnehmer. Restriktive Kontrollen fehlen komplett.
Stichwort: Sportverletzungen. Muskeln, Knochen, Gelenke und Bänder werden in bewegungsbetonten Sportarten teilweise so stark beansprucht, dass Verletzungen an der Tagesordnung sind [11]. Schach scheint in den gängigen Verletzungsstatistiken nicht nennenswert aufzutauchen. Weder hat sich bisher ein Spieler beim Spielen mit Holzfiguren einen Splitter mit nachfolgender Blutvergiftung zugezogen, noch sind Verstauchungen der Hand bei zu heftigem Drücken der Schachuhr dokumentiert. Da Schachspieler ihrem Sport in der Regel sitzend ausüben, haben manche allerdings wiederholt mit Rückenproblemen zu kämpfen. Auf Großmeister-Niveau ist ein Wettkampf in Tilburg (1985) dokumentiert, in dem der Engländer Anthony John (Tony) Miles wegen Rückenbeschwerden einige Partien des Turniers im Liegen absolvieren musste [12]. Schlimmer geht leider immer und daher soll abschließend nicht verschwiegen werden, dass in sehr seltenen Fällen selbst der Tod seinen Weg ans Schachbrett zu finden scheint [13].
Selbst bei den Randerscheinungen scheint Schach also den klassischen Sportarten in Nichts nachzustehen, so zynisch das auch erscheinen mag. Wer aber immer noch Zweifel hat und Schach wegen der fehlenden körperlichen Komponente nicht als Sport einstuft, dem sei ein Blick auf Schachboxen empfohlen [14]. Hier sollte wirklich für jeden Sportfan etwas dabei sein. Spätestens daran dürfte dann auch Rainhard Fendrich wieder seine Freude haben.
Das Titelbild zu dieser Aufgabe zeigt die weiße Formation in der Grundstellung. In der Studie von Sam Loyd aus dem Jahre 1858 geht es darum, den schwarzen König derart auf dem Brett zu platzieren, dass Weiß am Zug in drei Zügen matt setzt. Die Lösung hierzu gibt es ausnahmsweise erst in der nächsten Ausgabe.
Nützliche Links
[1] https://www.musixmatch.com/lyrics/Rainhard-Fendrich/Es-lebe-der-Sport
[2] http://www.hitzler-soziologie.de/pdf/Publikationen_Ronald/2-18.pdf
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Sport
[4] https://www.healthline.com/health/benefits-of-playing-chess
[5] https://www.lifeline.de/vorsorgen/geistige-fitness/
[6] https://www.fitrechner.de/kalorienverbrauch/USC21035-1/Schach+spielen
[7] https://www.deutsche-schachjugend.de/sport/
[8] https://www.medmix.at/hirndoping-bei-schachspielern
[9] https://www.schachbund.de/schach-doping.html
[10] https://www.augsburger-allgemeine.de/sport/Schach-Elektronische-Hilfsmittel-E-Doping-als-Betrug-im-Schach-id52306771.html
[11] https://www.sicherheit.sport/sportmanagement/sicherheit-im-breitensport/unfallpraevention-im-sport/
[12] https://britishchessnews.com/wp-content/uploads/2019/11/img_0830_lv.jpg
[13] https://www.sueddeutsche.de/panorama/tragoedie-in-norwegen-zwei-spieler-sterben-bei-schach-olympiade-1.2091606
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Schachboxen