Cricket in Deutschland wächst und gedeiht – vor allem durch die Einwanderer, die diesen Sport aus ihrer Heimat kennen. So bietet er für viele Geflüchtete aus Afghanistan ein Stück Heimat in der Fremde. Aber auch deutsche Jugendliche entdecken die Faszination des Spiels.
Hamburg, im Herbst 2015. „Safiullah, fass doch bitte mal mit an“. Zwei Jugendliche tragen eine Bank an die Stelle des großen Feldes, die U19-Trainer Mark Richardson ihnen zeigt. Es ist ein emsiges Treiben auf dem Cricketfeld des THCC Rot-Gelb in Hamburg-Klein Flottbek im Bezirk Altona. Wo nebenan Tennis, Hockey und Polo gespielt und einmal im Jahr das deutsche Springderby ausgetragen wird, treffen sich hier die Vereinsmitglieder zum „Social Cricket.“
Bunte Mischung
Das heißt: Freizeitspaß statt Punktspiel. Kinder, Jugendliche und Erwachsene verschiedenen Alters bilden zwei bunt gemischte Teams. Das gibt Spielpraxis und alle lernen sich besser kennen. Bevor es aufs Feld geht, trägt ein Herr im stilvollen grün-weißen Jackett einen Pokal auf die Spieler der U19 zu, die sich mittlerweile um die Bank gruppiert haben.
„Männer, der Norddeutsche Cricket Verband ist sehr stolz auf euch und ich freue mich, euch diesen Pokal zu überreichen“, sagt Verbands-Schatzmeister Moritz Hagenmeyer und überreicht Kapitän Safiullah Ahmadzai den Pokal für den Gewinn der norddeutschen Meisterschaft. „Unsere Mannschaft ist stark, wir haben noch nie verloren“, erzählt der 19-Jährige, der vor zwei Jahren als unbegleiteter Flüchtling aus Afghanistan nach Hamburg kam.
Sprung in deutsche U19
„Ich habe schon in Afghanistan Cricket gespielt und war sehr überrascht, dass es das auch in Hamburg gibt“, sagt Sufiullah. Eine Sozialarbeiterin habe den Klub im Internet für ihn gefunden und ihn hierher vermittelt. „Ich bin allein in Deutschland, ohne Familie. Aber wenn du Cricket spielst, ist alles gut. Hier habe ich Freunde gefunden, auch unter den Deutschen.“ Mittlerweile spielt Safiullah, der gerade ein Praktikum in einer Tischlerei macht, sogar in der deutschen U19-Nationalmannschaft – gemeinsam mit drei Vereinskollegen.
„Vor drei Jahren bekam ich einen Anruf von einem Sozialarbeiter, der junge Flüchtlinge betreut. Er wollte ein paar Jugendliche zum Training mitbringen“, erinnert sich Mark Richardson, der beim THCC auch Cricketwart ist. „Es kamen 14 Jugendliche. Wir haben dann ziemlich schnell neue Trainingsgruppen eingerichtet.“ Die erfolgreiche U19 setzt sich hauptsächlich aus afghanischen Flüchtlingen zusammen. Auch im Moment bekommt Richardson jede Woche noch mindestens eine Anfrage.
Die U19 des THCC 2015
Keine Bundesliga ohne Jugendarbeit
Als Richardson vor 25 Jahren aus England nach Hamburg kam, gab es in Deutschland etwa 30 Cricket-Klubs, inzwischen sind es rund 100. „Cricket wächst und gedeiht“, sagt Richardson. „Das liegt auf der einen Seite an der Zuwanderung aus Cricket-spielenden Ländern wie Pakistan, Indien oder Afghanistan.“ Diese Menschen fänden sich heute dank des Internets viel schneller zusammen.
Auf der anderen Seite unternehme der Deutsche Cricket Bund (DCB) viel, um die Nachwuchsarbeit zu fördern und den Sport für breite Bevölkerungsschichten interessant zu machen, lobt der U19-Trainer. So bekommen nur noch Klubs eine Lizenz für die sechsgliedrige Herren-Bundesliga, die auch Jugendförderung betreiben. Hier geht der THCC Rot-Gelb, der im Jahr 2014 vom DCB zum Verein des Jahres gekürt wurde, mit gutem Beispiel voran: es stellt neben der U19 noch jeweils ein U15 und eine U11-Team sowie ein Damen-Team.
Von klein auf dabei
„Ich wurde schon mit sechs Jahren im Kindergarten gefragt, ob ich Cricket mal ausprobieren will“, erzählt der 15-jährige Torben Prüfer. „Ich fand es gleich interessant und bin dabei geblieben.“ Heute erhält er ebenfalls einen Pokal überreicht, denn auch die U15 des THCC ist norddeutscher Meister geworden.
Dann kann das Spiel endlich beginnen. Es wird ein paar Stunden dauern. Schatzmeister Hagenmeyer hat sein Jackett inzwischen ausgezogen und sitzt an der Anzeige-Tafel. „Cricket ist eine Geisteshaltung“, sagt er, bevor er einen weiteren Run anzeigt – „entspannt und respektvoll.“
Dieser Beitrag erschien zuerst im Oktober 2015 auf zdfsport.de.