Kunst unterwegs – was hat das mit Hungerstreik zu tun?

4. August 2025   julia boyne
Aus dem Stadtteil, Kunst  

Am 16.07.25 besteige ich um kurz vor 14h wieder das Lastenrad und freue mich wieder lächelnd über die Aktion. Was wird heute geschehen? Wem werde ich begegnen? Was wird kreativ und/oder stadtteilkulturell passieren? Ich weiß es nicht, nie, nirgends.

Auf dem Weg durch den Stadtteil zu meiner ersten Station mache ich einen kleinen Umweg, um einen möglichen nächsten Spot zu besichtigen und begegne Marwa.

Es ist irritierend, etwas merkwürdig und auch etwas verunsichernd – sie sitzt mit einem großen Transparent an einer größeren Straße, versunken, ein bisschen hinter einer OP-Maske versteckt, schweigend und doch mahnend laut. Die Worte auf ihrem roten Banner „Hungerstreik bis Gerechtigkeit“ passen nicht so richtig in diese Umgebung. Ein geschäftiger, unbedarft wirkender Zwischenraum von vorbeifahrenden Autos zum nächsten Ziel, Radfahrer, eher eilige Fußgänger, kein Ort zum Verweilen. Und doch halte ich mit meinem Lastenrad an – denn ich sammle ja auch Geschichten des Viertels. Und hier sitzt nun Marwa mit ihrer Geschichte, die leider sehr traurig ist.

Ich werde mich nicht positionieren, werde diese Begegnung nur erzählen und auf sie aufmerksam machen. Sie will gesehen werden. Sie will solange hungern bis sie laut genug wahrgenommen wird. Sie spricht mit mir, mit sehr traurigen klaren Augen. Sie will mahnen und nicht schweigen. Mich berührt sie. Und auch andere Menschen werden auf sie aufmerksam. Das entspannt mich auch irgendwie, da ich das Gefühl habe, dass sie tatsächlich von ihren Mitmenschen gesehen wird. Vielleicht lindert das ihren Schmerz. Ich wünsche ihr zumindest das. In mir löst sie eine Vielzahl von Gedanken und Gefühlen aus – was ist wahr? Darf ich diese Frage überhaupt stellen? Muss ich diese Frage stellen? Wie gehe ich damit um, was Marwa erzählt? Was kann ich tun oder soll ich überhaupt etwas tun? Ich finde sie stark und mutig, fühle ihre Verzweiflung, die sie zu diesem Schritt bewegte und das finde ich bewundernswert, das bewegt mich. Marwa wirkt nach.

 

Im Friedrichsberger Park, meiner eigentlichen Station, bin ich still und baue behutsam meine Kunststation auf. Der Park ist belebt und die Sonne trägt zu einer entspannten angenehmen Stimmung bei. Ein Kontrastprogramm. Alles wirkt leichter. Und doch, denke ich (mal wieder), sind hier Menschen unterwegs mit ihren Leben, ihren Geschichten und auch ihrem Leiden. Wissen wir im Vorbeigehen nicht wirklich, vergessen wir oft und bleiben in unserem eigenen engen Kosmos. Schauen wir uns deswegen im Vorbeigehen oft nicht in die Augen? Kontaktvermeidung? Fühlvermeidung, dass du auch hier bist und lebst?

Ich breche diese Schutzmauer durch die Aktion „Kunst unterwegs“ für mich irgendwie immer wieder auf, wenn ich diesen fremden Menschen der Stadt begegne und wir für kurze Zusammenstöße einen Lebensmoment teilen. So kann aus dieser Flüchtigkeit eine Tiefe werden, die mich immer wieder erstaunt und glücklich macht. Facettenreich sind diese Augenblicke der Begegnungen. Ein Hauch von gegenseitigem Aufmerksam-werden. Wie ein Still-Werden im Rad des Alltäglichen.

Und so unterhalte ich mich interessanterweise zeitgleich mit zwei älteren Künstlern, die zufällig oder regelmäßig in diesem Parkabschnitt verweilen. Sie werden aufmerksam und nähern sich beide neugierig. Berichten über ihren eigenen künstlerischen Lebenslauf und ihre Projekte. Jeder auf seine ganz eigene Weise hat ein Leben mit Kunst geschaffen – und irgendwie auch geschafft. Kunst ist schwer und leicht, wenn man davon leben will. Ist Glück und Niesche und so abhängig vom Umraum. Der Wert der eigenen Kunst ist dabei variabel und wird verhandelt und gewogen – und wenn du Glück hast, für gut befunden. Das macht mir persönlich immer wieder Angst und Stress. Vielleicht bleibe ich deswegen viel zu oft mit meiner eigenen Kunst im privat Verborgenen. Denn ich scheue mich vor dieser Bewertung. Will meine Freude und Kraft dadurch nicht verlieren und nicht von Außen abhängig sein.

Bald fahre ich zum nächsten Platz und nehme Gedankenanstöße mit. Ich fühle mich angetickert und produziere fleißig geistige und emotionale Verknüpfungen.

Wer weiß, was beim nächsten Mal auf mich wartet. Vielleicht Du?