Alle reden von Lohn- und unbezahlter Care-Arbeit. Aber wie sieht so ein unsichtbarer Job eigentlich aus? Ein Tag im Leben einer alleinerziehenden Mutter:
Es ist kurz vor sieben Uhr morgens, als sie die Augen aufschlägt. Ihr Sohn ist 5 Jahre alt, liegt bereits wach in seinem Bett. Der Alltag der beiden gleicht auf den ersten Blick dem Alltag von vielen Familien. Doch das Kind hat im Alter von 6 Monaten die Diagnose einer lebensgefährlichen Erkrankung erhalten, die rund um die Uhr Betreuung erfordert. Der erste Blick auf die Uhr zeigt, dass die Zeit drängt. Sie hat nur 30 Minuten, um ihren Sohn fertig zu machen, bevor sie ihn zur Kita bringen muss.
Die Mutter springt aus dem Bett, bereitet ihm schnell das Frühstück und hilft ihm, sich anzuziehen. Währenddessen klingelt das Telefon. Ein Termin für die Ergotherapie wird verschoben, ein weiterer für den nächsten Krankenhausaufenthalt bestätigt. Dazwischen muss sie noch die Überweisungen beim Kinderarzt anfordern. Der Lautsprecher des Handys ist laut gestellt. Während sie in der Warteschleife hängt, packt sie die Snackbox für den Nachmittag. Ihr Arbeitstag als Marketingmitarbeiterin beginnt offiziell erst um 9 Uhr, aber die Arbeit als Mutter hat längst eingesetzt.
Als das Kind in der Kita ist, fährt sie zur Arbeit. Im Auto dorthin startet die Mutter den zweiten und dritten Versuch den Kinderarzt zu erreichen. Die Liste von Aufgaben, die sie erledigen muss, ist lang. Doch im Büro angekommen, warten erstmal andere Anliegen. In der Mittagspause versucht sie es ein viertes Mal beim Kinderzt.
Zwischen all diesen Aufgaben bleibt kaum Zeit für sich. Ihre eigenen Arzttermine? Seit Jahren aufgeschoben. Die letzte Vorsorgeuntersuchung? Vor über zwei Jahren. An Sport oder mal einen Kino- oder Konzertbesuch ist nicht zu denken. Sie hat es schlichtweg nie geschafft. Hinzu kommt: „Wenn ich krank werde, kann niemand übernehmen“, sagt die Mutter, während sie ihr Kind nach der Kita zu einem Kindergeburtstag fährt. „Es gibt niemanden, der sich um ihn kümmert. Das ganze System ist darauf ausgelegt, dass ich immer funktioniere, egal wie es mir geht.“
Abends nach dem Abendessen ist die Mutter erschöpft. Doch der Tag ist noch nicht vorbei. Sie muss noch E-mails schreiben – an das Finanzamt, denn die warten auf Unterlagen vom Versorgungsamt. Fast 14 Monate sind seit dem Erstantrag vergangen. „Dass Behörden mal unter einander kommunizieren, ist nicht vorgesehen. Alles muss über mich laufen.“ Beim Wäscheaufhängen hört sie einen Podcast. “Das fühlt sich ein bisschen an, als würde sich etwas für mich selbst tun.” Für eine Pause oder gar ein eigenes Leben bleibt keine Zeit.
„Es ist ein ständiger Druck“, erklärt die Mutter. „Es kommt mir so vor, dass niemand weiß, wie viel Arbeit tatsächlich dahintersteckt. Manchmal frage ich mich, wie lange ich das noch durchhalten kann. Aber ich habe gar keine andere Wahl.“
Im Gespräch wird deutlich: Sie ist nicht nur berufstätige Mutter, sondern auch Pflegekraft, Eventmanagerin, Haushaltshilfe und Verwaltungsangestellte – alles in einem. Und das auf einem Minimum an Schlaf und Unterstützung. Sie lebt in einem System, das von ihr verlangt, immer präsent und funktional zu sein. „Wir Mütter dürfen nicht ausfallen, sonst fällt alles auseinander“, sagt sie und blickt auf den Kalender. Ein neuer Tag und Termin wartet, der nächste Antrag steht an, und der Alltag geht weiter – ohne Pause, ohne Anerkennung.
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